EZB senkt Leitzins: Die wichtigsten Auswirkungen

01.07.2024 – Erfahren Sie hier, wie Leitzins und Inflation zusammenhängen und wie sich die aktuelle Zinssenkung auf die Entwicklung von Aktien, Spar- und Kreditzinsen auswirkt.

Eine Flagge der Europäischen Union höngt an einem Bürogebäude

Europäische Zentralbank senkt Leitzins auf 3,75 %

Werfen wir zu Beginn einen Blick auf die bisherige Entwicklung: Ab dem Sommer 2021 begann die Inflationsrate in Deutschland rasant zu steigen. Das bedeutete: Produkte und Dienstleistungen wurden teurer und die Kaufkraft der Verbraucher nahm ab. Im November 2022 lag die Inflation bei 8,8% – ein Rekordwert. Im Kampf gegen die Inflation hat die EZB im Laufe der letzten Jahre zahlreiche Zinserhöhungen beschlossen.

Aktuell hat sich das Inflationsgeschehen beruhigt und die Inflation ist mit 2,4%1 im Mai 2024 nahe dem Inflationsziel der EZB von 2%. Das hat die Zentralbank dazu veranlasst, die geldpolitischen Zügel etwas zu lockern. Am 6. Juni 2024 kam es erstmalig wieder zu einer Leitzinssenkung – und zwar um 25 Basispunkte bzw. 0,25%. Das Inflationsproblem ist damit aber noch nicht final gelöst. Die Kehrtwende der EZB ist mit Vorsicht zu genießen.

Welchen Einfluss hat der Leitzins auf die Inflation?

Der Leitzins gibt an, zu welchem Zinssatz sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank Geld leihen oder Geld anlegen können. Als geldpolitisches Instrument der EZB dient er dazu, die Preisentwicklungen in der Europäischen Union zu lenken.
Veränderung SparzinsenLeitzinssenkungZinsen auf Sparprodukte sinkenLeitzinserhöhungZinsen auf Sparprodukte steigen
Veränderung KreditzinsenLeitzinssenkungKreditzinsen sinkenLeitzinserhöhungKreditzinsen steigen
Einfluss auf die WirtschaftLeitzinssenkungEs wird zum Konsumieren und Investieren angeregt (steigende Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen)LeitzinserhöhungEs wird zum Sparen angeregt (sinkende Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen)
Einfluss auf die InflationLeitzinssenkungEher keine inflationssenkende WirkungLeitzinserhöhungInflationssenkende Wirkung (Verbraucherpreise sinken)

Wichtig: Neben dem Leitzins gibt es viele weitere Faktoren, die die Wirtschaftslage beeinflussen können. Hinzu kommt, dass eine Leitzinsänderung nicht immer direkt spürbar ist. Deshalb werden die theoretischen Auswirkungen einer Leitzinsänderung in der Realität nicht unbedingt genauso beobachtet.

Was der EZB-Rat mit der Zinssenkung erreichen möchte

  • Konjunktur ankurbeln: Niedrigere Zinsen machen Kredite günstiger, wodurch sowohl Unternehmen als auch Verbraucher mehr Geld ausgeben können. Außerdem führen sinkende Sparzinsen dazu, dass sich Investieren im Vergleich mehr lohnt. So können Zinssenkungen das Wirtschaftswachstum stimulieren und die Konjunktur beleben.
  • Arbeitsmarkt stärken: Die Anregung von Investitionen und Konsum erfordert zusätzliche Arbeitskräfte, was zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beiträgt und den Arbeitsmarkt stärkt.
  • Exportwirtschaft fördern: Je nach Währung sind die Zinsen im Ausland höher als im Inland. Das machen Anleger sich zu Nutze und legen mit einem Fremdwährungskonto Geld in ausländischer Währung an. Eine Leitzinssenkung der EZB führt dazu, dass Anleger ihr Geld in Währungen umschichten, die höhere Zinsen abwerfen als der Euro. Die Nachfrage und der Kurs des Euros sinken, was wiederum Waren und Dienstleistungen in der Europäischen Union verbilligt und den Export ankurbelt.

Wie wirkt sich die Zinssenkung für Anleger, Sparer und Kreditnehmer aus?

Was bedeutet ein niedriger Leitzins in der Theorie für Anleger, Sparer und Kreditnehmer? Wer profitiert, wer verliert? Und welche Entwicklungen sind derzeit in der Praxis zu beobachten?

Euro wertet ab

Theorie: Ein geringerer Leitzins kann dazu führen, dass Anleger ihr Geld in andere Währungen mit höheren Zinsen verlagern. Das kann einer Abwertung des Euros zur Folge haben.


Realität:
Anders als die Theorie besagt, hat sich der Euro seit Mitte April gegenüber dem US-Dollar verstärkt. Das lag vermutlich an den optimistischen Konjunkturdaten aus dem Euroraum im Vergleich zu den schwächeren US-Konjunkturdaten. Unsere Finanzanalysten erwarten jedoch, dass der Euro in nächster Zeit an Stärke verlieren könnte.2

Anleihenkurse steigen

Theorie: Mit Anleihen profitieren Sie von festen Zinszahlungen über die gesamte Laufzeit. Sinken während der Laufzeit die Marktzinsen werden neue Anleihen mit niedrigerer Verzinsung herausgegeben. Bestehende Anleihen, deren Verzinsung noch über dem neuen Marktzins liegen, gewinnen also an Wert.


Realität:
Aktuell wird in der Tat eine gestiegene Nachfrage nach sicheren und liquiden Anleihen beobachtet.3

Sparprodukte weniger lukrativ

Theorie: Die Sparzinsen, die Banken ihren Kunden für Tages- und Festgeld anbieten, hängen maßgeblich vom Einlagensatz ab, also dem Zins, den Banken erhalten, wenn sie Geld bei der EZB parken. Daher senken Banken in Reaktion auf eine Leitzinssenkung oft auch die Zinsen, die sie Sparern anbieten. Sparprodukte werden damit unattraktiver.


Realität:
Da die Entscheidung der Zentralbank erwartet worden war, haben viele Finanzinstitute ihre Konditionen für Tages- und Festgeld bereits im Vorwege entsprechend angepasst.

Aktien boomen

Theorie: Wenn die Attraktivität von Sparprodukten abnimmt, werden Aktien wieder beliebter. Die wachsende Nachfrage kann zu steigenden Aktienkursen führen. Zudem kurbeln niedrige Zinsen die Wirtschaft an, was zu steigenden Unternehmensgewinnen und entsprechend steigenden Aktienkursen führen kann.


Realität:
Die erwartete Zinswende hat die Kurse schon Monate vor der Zinsentscheidung beeinflusst. Seit Anfang 2024 ist der Deutsche Aktienindex (DAX) um knapp zwölf Prozent gestiegen.4

Kredite zu guten Konditionen

Theorie: Banken und andere Finanzinstitute passen ihre Kreditzinsen oft an den Leitzins an. Wenn der Leitzins sinkt, werden Kredite für Verbraucher und Unternehmen in der Regel günstiger. Dies bedeutet, dass die Kosten für Konsum- und Unternehmenskredite sinken und sie häufiger in Anspruch genommen werden.


Realität:
Erstmalig nach zwei Jahren kam es zu einer gestiegenen Nachfrage der privaten Haushalte nach Baufinanzierungen, Konsumenten- und sonstigen Krediten. Das sind die Ergebnisse der Umfrage zum Kreditgeschäft (Bank Lending Survey) in Deutschland, die die Deutsche Bundesbank im April 2024 veröffentlichte.5 In Folge der Leitzinssenkung im Juni, könnten Kredite auch weiterhin attraktiv bleiben, weshalb die Nachfrage weiter steigen dürfte.

Leitzins-Entwicklung: Wie geht es jetzt weiter?

Die nächste EZB-Sitzung findet am 18. Juli 2024 statt. Unser Chief Investment Officer, Thorsten Weinelt, meint, dass anstehende Zinsentscheidungen von den Lohn- und Inflationsentwicklungen abhängig gemacht werden. Er geht davon aus, dass der EZB-Einlagensatz bis zum ersten Quartal 2025 auf 3% sinken wird und dass es danach aufgrund der anhaltenden Inflationsproblematik vorerst keine weiteren Zinssenkungen geben wird.

Die Leitzinssenkung bietet vielversprechende Chancen für Anleger und Kreditnehmer.