"Es geht nicht um Hexereien"

Im Interview mit der WirtschaftsWoche spricht CEO Bettina Orlopp über die Stimmung im Haus, über den Anteilsverkauf des Bundes sowie über ihren eigenen Werdegang.

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Horst von Buttlar und Lukas Zdrzalek

WirtschaftsWoche, 18.10.2024

Bettina Orlopp
Bettina Orlopp© Commerzbank

Frau Orlopp, Sie sind die erste Frau an der Spitze einer deutschen Großbank: Ist die Gleichberechtigung endlich in der Bankenbranche angekommen?
In der Finanzindustrie sind schon seit Jahren die Hälfte aller Angestellten Frauen. Deshalb freut es mich, dass sich dies in unserem Vorstand widerspiegelt: Drei von sechs Mitgliedern sind derzeit Frauen. Auf den Führungsebenen unterhalb des Vorstandes gibt es zwar noch nicht immer eine Parität, aber wir arbeiten daran.

Sie haben 20 Jahre lang bei McKinsey gearbeitet, sind vor 10 Jahren zur Commerzbank gewechselt und haben sich von der Strategie- zur Vorstandschefin hochgearbeitet. Für viele sind Sie ein Vorbild. Bekommen Sie oft die Frage gestellt: Wie haben Sie das geschafft?
Ja, das war schon bei McKinsey so. Ich wurde früh Partnerin. Und ich war jahrelang die einzige Partnerin, die mit Kindern in Teilzeit gearbeitet hat. Da bekommt man viele Fragen, wie man das hinbekommt.

Und: Wie haben Sie das hinbekommen?
Man muss vor allem entspannt sein.

Das hilft Ihnen hoffentlich in diesen Tagen.
Das ist auch ansonsten wichtig, wenn man diesen ständigen Spagat mit Beruf, Dienstreisen, Familie und Kindern hinbekommen will. Man muss gut organisiert sein und einen Partner haben, mit dem man sich alles teilen kann. Allein schafft man das nicht. Vor allem aber kann man den Druck nur aushalten, wenn einem die Arbeit Spaß macht. Sich durchzubeißen geht für kurze Zeiträume, aber nicht auf Dauer - dann ist man nicht erfolgreich. Oder man wird krank.

Macht es denn Spaß, eine Übernahme abzuwehren?
(lacht) Es ist natürlich viel, das derzeit auf meinem Tisch liegt, vor allem in meiner Doppelrolle als Vorstandschefin und Finanzvorständin. Ich muss mich um drei Themen kümmern: die Umsetzung unserer Strategie 2027, nur etwas schneller und mit ambitionierteren Zielen. Zweitens denken wir jetzt schon viel darüber nach, was nach 2027 kommt. Drittens haben wir die Situation mit dem neuen Großaktionär, der UniCredit, die natürlich Kunden und Mitarbeiter verunsichert. Wir müssen uns darauf vorbereiten, ein Angebot der UniCredit rasch bewerten zu können, falls sie eines vorlegen sollte. Trotzdem bereitet mir mein Job viel Freude: Ich habe Spaß daran, die Commerzbank weiterzuentwickeln.

Die bittere Pointe könnte sein, dass Sie als erste Frau an der Spitze einer deutschen Großbank einen Rekord aufstellen: den der kürzesten Amtszeit.
Ach, wissen Sie, als ich 2016 in den Vorstand aufstieg, unkten auch viele: Wie lange wird sie das wohl machen? Ich war für Compliance, Personal und Recht zuständig - just zu einer Zeit, als die US-Finanzaufsicht wegen eines Sanktionsverstoßes eine Strafe von 1,45 Milliarden US-Dollar verhängte. Die Compliance-Organisation war damals in der Bank nur begrenzt vorhanden: Also musste ich ein Team aufbauen und Strukturen hochziehen. Und das ist uns gelungen. Deshalb bin ich auch heute gelassen. Und diese Ruhe muss ich jetzt in die Bank tragen, damit die Mitarbeiter nicht erstarren und denken: Oh Gott, was passiert da?

Ist Ihnen das gelungen - oder sind die Mitarbeiter schon schicksalsergeben?
Ich spüre einen klaren Aufbruchswillen.

Woran machen Sie das fest?
Ob es nun Gespräche in der Kantine sind oder vor einigen Tagen bei einem Führungskräftetreffen: Überall ist da dieser Wille, die Bank voranzubringen. Klar, es gibt Sorgen, wir werden ja mit Schlagzeilen bombardiert.

Viele haben Angst um ihre Jobs.
Angst hilft in so einer Situation nicht weiter.

Was sind Ihre konkreten Maßnahmen, um den Mitarbeitern die Angst zu nehmen?
Meine wichtigste Botschaft ist: Wir müssen liefern. Wir stoppen keine Projekte oder die Entwicklung neuer Produkte. Wir müssen unsere Arbeit weitermachen - so simpel das auch klingt. Die Kunden brauchen uns ja. Wir müssen weiter draußen sein!

Als der Bund vor sechs Wochen ankündigte, Teile seiner Commerzbank-Aktien zu verkaufen, waren Sie zu Gast auf dem Abendempfang der Staatsbank KfW. Anwesende berichten, wie Sie plötzlich zum Handy griffen, als die Nachricht vom Aktienverkauf die Runde machte. Würden Sie Ihre Beziehung zum Bund noch als Vertrauensverhältnis bezeichnen?
Keine Frage, es war ein unglückliches Timing, dass mich die Informationen just bei dem Empfang erreichten. Aber ich durfte von der Verkaufsankündigung vorher aus rechtlichen Gründen gar nicht wissen. Und: Mich hat nur der Zeitpunkt überrascht, nicht die Tatsache an sich. Dass der Bund seinen Anteil reduziert, hatten wir uns gewünscht.

Eine Woche später machte die UniCredit öffentlich, die Aktien des Bundes gekauft zu haben. Welcher Gedanke schoss Ihnen zuerst durch den Kopf?
Ich war schon sehr überrascht. Aber für eine solche Situation gibt es einen klar definierten Ablaufplan im Konzern: Wir haben ein Team zusammengesetzt und begonnen, diesen Plan abzuarbeiten.

Der Bund hat seine Coba-Aktien aus Versehen an die UniCredit verkauft: Wie dilettantisch fanden Sie das Vorgehen der Finanzagentur, die den Verkauf orchestriert hat?
Ich kann verstehen, dass diese Frage für Sie spannend ist, aber mich beschäftigt sie nicht. Es ist so passiert, wie es passiert ist - und die Verantwortlichen müssen sich fragen, ob es so gewollt war.

Es kann kaum so gewollt gewesen sein.
Es war gewollt, die Anteile zu reduzieren - inzwischen hat der Bund angekündigt, bis auf Weiteres keine weiteren Aktien mehr zu verkaufen. Daraus kann jeder seine Schlüsse ziehen.

In Berlin ist es nach der ersten Welle der Aufregung still geworden. Man spielt Kaninchen und hält still.
Es ist ja auch nichts Weiteres passiert - der Bund wartet ab und verkauft keine neuen Anteile.

Der Kanzler hat die Übernahme erst als "unfreundlichen Akt" bezeichnet, seitdem hört man wenig aus Berlin. Vermissen Sie weitere Rückendeckung?
Nein. Derzeit liegt ja gar nichts auf dem Tisch, was man bewerten kann - bisher wurde nur der Angang der UniCredit bewertet.

Ihre Botschaft ist: Die Commerzbank ist als eigenständige Bank für den deutschen Markt unverzichtbar. Welches der Argumente der UniCredit finden Sie denn am überzeugendsten?
(lacht) Das ist interessant, wie Sie die Frage umdrehen! Ich möchte erst einmal betonen: Als Vorstand sind wir dazu verpflichtet, ein mögliches Angebot der UniCredit im Sinne aller Aktionäre objektiv zu prüfen. Und das werden wir auch tun, wenn denn eines Tages eines vorliegt.

Sie sind der Frage ein bisschen ausgewichen.
Ja, Ihr Eindruck stimmt.

Die Italiener argumentieren, die Commerzbank wäre unter ihrer Führung profitabler und stärker. Was entgegnen Sie?
Wir haben in den vergangenen Jahren eindrücklich gezeigt, dass wir unsere Profitabilität deutlich verbessern konnten - und zwar eigenständig. Unsere Eigenkapitalrendite lag 2018 noch bei drei Prozent, 2023 schon bei knapp acht Prozent. Zugleich müssen mögliche Konsequenzen einer Übernahme bedacht werden.

Sie haben gewarnt, dass Sie die Versorgung des Mittelstandes mit Krediten gefährdet sehen. Die Commerzbank, die hiesige UniCredit-Tochter HypoVereinsbank und die Deutsche Bank haben aber im Geschäft mit Unternehmenskrediten nicht einmal einen Marktanteil von 12 Prozent. Sind Sie doch nicht so relevant?
Die Zahl führt in die Irre, weil sie nicht granular genug ist. Wir sind vor allem bei den mittelgroßen Unternehmen, die der Kern des Mittelstands sind, stark engagiert. Wenn das Angebot an Krediten für diese Unternehmen sinkt, kosten diese Darlehen mehr Geld, dann werden höhere Zinsen fällig. Zudem sind wir in bestimmten Bereichen des Firmenkundengeschäfts sehr bedeutsam: Bei der Finanzierung des deutschen Außenhandels haben wir einen Marktanteil von 30 Prozent.

Warum sollte das als Tochter der UniCredit nicht mehr so laufen?
Viele Unternehmen sind sowohl unsere Kunden als auch die der UniCredit-Tochter HypoVereinsbank: Bei einem Zusammenschluss könnten sie Geschäft verlagern, um nicht zu abhängig von dem neuen Institut zu werden. Zudem kommt es insbesondere in Krisen darauf an, wo entschieden wird, ob ein bestimmtes Unternehmen einen Kredit erhält. Da kann es schon ausschlaggebend sein, ob das in Frankfurt oder Mailand passiert. Für Kreditentscheidungen ist essenziell, wie gut eine Bank eine Firma kennt.

Ihre Kunden schlagen bisher nicht Alarm: Noch haben sich mit dem Reisekonzern TUI und dem Immobiliendienstleister Wisag nur zwei Unternehmen gegen eine Fusion ausgesprochen.
Das ist nur die Spitze eines Eisbergs. Ich erhalte viel Feedback von Kunden, die sich eine weiterhin eigenständige Commerzbank wünschen.

Sie haben bis jetzt vor allem die Risiken einer Übernahme betont. Gibt es auch positive Gründe für Ihre Eigenständigkeit?
Unser Kernfokus ist unsere Strategie 2027, die wir vor Kurzem noch nachgeschärft haben: Diese ist attraktiv für die Kunden, für die Mitarbeiter - und die Aktionäre. Wir werden höhere Gewinne an sie ausschütten als in den Jahren zuvor und die Erträge weiter verbessern.

Analysten trauen Ihnen zu, Ihre Einnahmen bis 2027 um mehr als 15 Prozent zu steigern.
Ja. Und: Wir wollen eine Eigenkapitelrendite von mehr als 12 Prozent erzielen und nur noch maximal 54 Cent ausgeben, um einen Euro einzunehmen. Heute liegen wir bei 61 Cent. Und unser bisheriger Erfolg gibt uns auch die Zuversicht, dass wir in Zukunft noch besser werden.

Sie haben zuletzt von den gestiegenen Zinsen profitiert. Die Leitzinsen der Europäischen Zentralbank werden aber wieder sinken. Wo soll das künftige Wachstum herkommen?
Es gibt immer Hebel und Wege, Kapital noch besser und effizienter einzusetzen. Das Thema künstliche Intelligenz wird uns ebenfalls weiterhelfen. Und wir können durch Zukäufe auch anorganisch wachsen. Wir planen jährliche Investitionen von rund 530 Millionen Euro, mehr als die Hälfte davon direkt in das Kundengeschäft.

Mehr Effizienz plus KI, der ein oder andere Zukauf - das ist das, was man dem durchaus aggressiven Plan der Italiener entgegensetzt?
Das klingt etwas einfach, aber im Wesentlichen geht es um Verbesserungen im Kerngeschäft, nicht um Hexereien.

Welche Zukäufe können Sie sich vorstellen?
Zum Beispiel im Bereich der Vermögensverwaltung. Wir bauen diesen Bereich schon seit Längerem aus und haben bereits einige kleinere Firmen zugekauft. Wir konzentrieren uns bei weiteren Übernahmen darauf, unseren Kunden neue Dienstleistungen anzubieten. Der Vorteil ist, dass wir solche Unternehmen nicht erst mühsam in unsere IT-Systeme integrieren müssen. Zugleich werden wir uns im Firmenkundengeschäft nach Zukäufen umschauen. Aber Übernahmen sind nicht der einzige Weg, wie wir wachsen können.

Sondern?
Wir werden auch unsere Provisionseinnahmen deutlich steigern, nicht zuletzt durch den Ausbau unseres Anlagegeschäfts und der Vermögensverwaltung.

Das versuchen viele deutsche Banken seit vielen Jahren vergeblich ...
Aber wir haben einen Stamm von elf Millionen Privat- und Unternehmerkunden. Da bietet sich uns ein Strauß an Möglichkeiten, um unsere Provisionseinnahmen zu steigern - nicht nur bei der Betreuung kleiner und großer Vermögen. Wir sind auch davon überzeugt, noch mehr Geschäft im Zahlungsverkehr mit unseren Firmenkunden machen zu können. Zudem sehe ich Potenzial bei unserer Direktbank-Tochter Comdirect.

Wirklich? Die Comdirect scheint uns etwas stehengeblieben, den Takt geben Neobroker wie Trade Republic vor - sowohl technisch als auch bei den Kosten.
Ja, aber auch hier wächst meine Zuversicht. Zum einen gelingt es uns immer besser, mit bestehenden Kunden mehr Ertrag zu machen. Zum anderen steigen seit diesem Jahr auch wieder unsere Kundenzahlen. Allein im ersten Halbjahr hat die Comdirect rund 100 000 neue Kunden gewonnen.

Sie haben vorhin gesagt, dass Sie jetzt schon überlegen, wie Sie die Commerzbank nach 2027 weiterentwickeln. Warum haben Sie es so eilig?
Nicht zuletzt, weil Investoren von uns wissen wollen, was wir als eigenständiges Institut bis zum Ende des Jahrzehnts erreichen können. Beide Optionen, eine Übernahme durch die UniCredit und eine eigenständige Commerzbank, müssen für die Aktionäre vergleichbar sein.

Jahrelang haben viele Deutsche auf die Banken in Südeuropa herabgeblickt. Jetzt stellen wir fest: Unsere Institute sind nicht die Treiber der europäischen Konsolidierung, sondern die gewinnträchtigeren südeuropäischen Banken. Was haben die anderen gut, was haben unsere Institute schlecht gemacht?
Der Wettbewerb in Deutschland ist besonders hoch, weil unser Bankensystem aus drei Säulen besteht: den privaten Geldhäusern wie der Commerzbank, den Sparkassen und den Genossenschaftsinstituten. Das drückt die Profitabilität. Dieses System gibt es in anderen europäischen Ländern in der Form nicht mehr, weil - anders als bei uns - Fusionen zwischen den Säulen ermöglicht wurden.

Also sind wir in Deutschland noch immer "overbanked", wir haben zu viele Banken?
Grundsätzlich ist das so, ja.

Wäre eine Fusion zwischen Ihrem Haus und der UniCredit deshalb nicht folgerichtig?
Wir haben uns nie per se gegen Fusionen ausgesprochen. Die Frage ist nur, welche Zusammenschlüsse zu welchem Zeitpunkt mit welchem Wertversprechen die richtigen sind.

Ökonomen sehen darin die Möglichkeit, die europäische Bankenunion fortzuschreiben, den Kontinent besser zu verflechten.
Ein Zusammenschluss jetzt würde bedeuten, den zweiten Schritt vor dem ersten zu gehen. Wir müssen in Europa erst die rechtlichen Voraussetzungen für eine Bankenunion abschließen, ehe wir an europäische Zusammenschlüsse denken sollten. So können Institute die Einlagen von Sparern eines Landes bislang auch nur dort einsetzen, um Kredite zu vergeben. Einen Nutzen hätte die Bankenunion aber erst dann, wenn Banken Gelder grenzüberschreitend verwenden könnten.

Kommen wir zum Schluss auf die deutsche Wirtschaft: Als Bank sind Sie auch ein Seismograf. Was hören Sie von Ihren Firmenkunden?
Die Rückmeldungen sind uneinheitlich und ähneln dem Bild, das volkswirtschaftliche Indikatoren zeichnen: An einem Tag überrascht uns eine positive Nachricht, etwa ein hoher Auftragseingang bei den hiesigen Firmen, und schon am nächsten Tag kommt eine schlechte. Das Gleiche gilt für die Insolvenzzahlen: Zwar sind sie höher als vor der Coronapandemie, aber damals lagen sie immer noch deutlich unter den Niveaus früherer Jahre. Wir sehen insgesamt keine Strukturprobleme in unserer Wirtschaft: Es ist nicht so, dass ganze Branchen ins Rutschen geraten.

Das gilt aber nicht für die Autobranche ...
Der Autobau steht sicherlich im Fokus, weil er so eine hohe volkswirtschaftliche Relevanz hat. Deshalb dominiert er die Schlagzeilen. Aber wenn wir uns die Insolvenzen und die schwierigen Fälle anschauen, ist kein Muster erkennbar. Oft sind es individuelle Probleme einzelner Firmen.

Reden wir also das Land zu schlecht, wie der Kanzler klagt?
Wir sind in einer schwierigen Situation, wir erleben das zweite Rezessionsjahr in Folge. Viele Unternehmen investieren zwar, aber oft nicht mehr in Deutschland. Für uns als Bank ist das kurzfristig kein Problem, weil wir die Unternehmen ins Ausland begleiten, für den Standort aber schon. Deshalb brauchen wir dringend Reformen.

Was macht Ihnen Hoffnung, dass das Land aus dieser Situation herausfindet?
Manchmal stößt man im Leben auf Schwierigkeiten und fragt sich: Oh Gott, wie komme ich da raus? Für Deutschland gilt das nicht: Wir wissen, wie wir unser Wachstumsproblem angehen können, etwa indem wir die Bürokratie abbauen. Wir müssen es nur anpacken!

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der WirtschaftsWoche.