Mut zur Selbstverwirklichung

02.09.2024 – Ali Erdoğan kam mit 19 aus der Türkei nach Deutschland – mit einer Reisetasche, 30 D-Mark Bargeld und einer Menge Pläne.

Heute ist Ali Erdoğan ein erfolgreicher Großgastronom, Immobilienunternehmer, Consultant und Konzeptentwickler. Außerdem plant er, „Grüne Energie“ zu produzieren.

Kennen Sie den Spruch „Wer nichts wird, wird Wirt“?

AE: Ja, natürlich kenne ich den. (lacht) Aber wenn ich gefragt werde, was ich beruflich mache, sage ich immer: Pizzabäcker und Eismann mit einem Studium. Außerdem sollte der Spruch etwas korrigiert und für die Neuzeit passend definiert werden. Ich würde ihn so abändern: Wer was wird, wird auch Wirt!

Ihre Bescheidenheit ehrt Sie. Aber nicht nur in unseren Augen sind Sie ein Großgastronom mit vielfältigen beruflichen Aktivitäten. Können Sie uns beschreiben, was Sie alles machen und welche Geschäftsfelder Sie abdecken?

AE: Sehr gerne. Aber ich möchte zunächst, wenn Sie erlauben, doch noch mal auf den Gastwirt zurückkommen. Ich verstehe mich in der Gastronomie als ein guter Gastwirt, das ist mein Anspruch.

Ein guter Gastwirt muss nicht nur seinen Beruf lieben, sondern er muss darin permanent verliebt sein, um seinen Anspruch als guter Dienstleister zu erfüllen.

Wissen Sie, ich liebe meine Frau, aber noch schöner ist es, dass ich auch permanent in sie verliebt bin. Und das ist ein großer Unterschied in der Zuwendung. In der Presse werde ich oft als Großgastronom bezeichnet. Ich finde, bei dieser Bezeichnung assoziiert man im Allgemeinen große Ketten. Ich aber arbeite in der Individualgastronomie. Jedes meiner über 20 Gastro-Projekte ist anders und hoffentlich auch besonders. Ich versuche, meine Restaurants den jeweiligen Standorten in Düsseldorf oder woanders in Deutschland anzupassen, weil jede Location ja auch unterschiedlich ist – sowohl von der Lage als auch von der Struktur. Der Ku’damm und der Leipziger Platz unterscheiden sich voneinander genauso wie beispielsweise in Düsseldorf die Kö und dem Medienhafen. Mit meiner Unternehmensgruppe Leonardo versuche ich außerdem, eine möglichst komplette Wertschöpfungskette von Consulting, Projektentwicklung, Dienstleistung und Service anzubieten.

Das heißt?

AE: Lassen Sie es mich an einem Beispiel verdeutlichen: Vor ca. zwei Jahren haben wir die Firma Wilhelm Breuer übernommen. Ein junges Unternehmen (lacht), nur 132 Jahre alt, bei dem ich selbst seit 25 Jahren Kunde bin. Die letzte Generation hat das Unternehmen auf den Tag genau 58 Jahre geführt. Über dieses Traditionsunternehmen erreichen wir tausende Kunden, beliefern Metzgereien, Gastronomien, Großkantinen, über 800 Lebensmittel-Einzelmärkte und vieles mehr mit Produkten und über 6.000 Artikeln aus der Gastronomie: Geschirr, Besteck, Gläser, alles, was dazugehört, auf einem qualitativ hohen Niveau. Breuer ist ein Bestandteil unserer Unternehmensgruppe, der mich stolz macht. Außerdem, und das ist ein weiteres Standbein, haben wir mit Partnern ein Portfolio an Bestandsimmobilien in Eins-a-Lagen mit namenhaften Brands und Behörden aufgebaut, die wir verwalten und vermieten. Und zum Dritten engagieren wir uns in der Solarindustrie. Erneuerbare Energie ist für mich eins der großen Zukunftsthemen nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Hier betätigen wir uns als Investor und Dienstleister zugleich mit dem Ziel, in Städten umweltfreundlichen Unternehmensstrom anzubieten.

Reichen Ihnen als Unternehmer die Themen Gastronomie und Immobilien nicht?

AE: Reichen ist ein relativer Begriff. Ich glaube, wenn es nur darum gehen würde, ob es einem reicht oder nicht, dann würden wahrscheinlich Millionen von Unternehmern nichts mehr tun.

Gute Unternehmer suchen aber immer wieder neue Herausforderungen. Bei jeder neuen Aufgabe lerne ich unglaublich viel. Dabei geht es nicht allein um den finanziellen Erfolg.

Solarenergie ist ein so großes Zukunftsthema, es ist wichtig für eine lebenswerte Welt für meine Kinder und später hoffentlich Enkelkinder. Und da sind wir wieder bei den Projekten, in die man auch verliebt sein muss.

Trotz der vielfältigen Aktivitäten klingt das alles so einfach. Wie organisieren Sie sich, wie sieht Ihr Alltag aus?

AE: Für einen Gastronomen stehe ich um 7.30 Uhr relativ früh auf. Nach einem Kaffee und etwas Gebäck als kleines Frühstück arbeite ich anderthalb bis zwei Stunden zu Hause bei mir im Büro. Diese Zeit nutze ich nur für mich – ohne Mails und Telefon. Ganz konzentriert und effektiv sozusagen im Austausch mit mir selbst, um mir über die immer wieder anstehenden Herausforderungen klar zu werden und mich ihnen zu stellen. Meistens geht es um neue Projekte, Strategieplanungen, aber natürlich auch um Problemlösungen. Es sind meine täglichen Klausurstunden, in denen ich mich kreativer und leistungsfähiger fühle als in der Firma, wo ich jederzeit ansprechbar sein muss und wenig Ruhe für mich finde.

Nachdem ich noch einen weiteren Kaffee in meinem Restaurant auf der Kö getrunken habe, gehe ich nach nebenan in die Zentrale. Dort bin ich dann ab circa 10.30 Uhr oder 11 Uhr.

Wie können wir uns Ihre Office-Struktur bei den unterschiedlichen Unternehmensfeldern vorstellen?

AE: Im Prinzip lege ich erst mal großen Wert auf Eigenverantwortlichkeit, so wie ich sie auch schon in jungen Jahren gelernt habe. Was das heißt, möchte ich Ihnen am Beispiel unserer über 20 Restaurants erklären. Im ersten Schritt finde ich eine Location, mache entsprechende Projektplanung, nach der Realisierung suche ich geeignete Partner, die mit einsteigen und sich beteiligen. Im Prinzip ist es das gleiche wie beim Autoleasing. Der Hersteller baut, bietet den Service, der Wagen wird geleast und eigenständig verwendet. Das heißt übersetzt, meine Partner müssen sich um alles vor Ort kümmern: Gäste, Service, alles, was zu einem guten Betrieb gehört. Den Rest machen wir aus der Zentrale an der Kö: Um Backoffice, Personal, Logistik usw. kümmern sich über zehn Mitarbeitende, für die ich natürlich täglich ansprechbar bin. Zu meinem persönlichen Team gehören vier Vertraute. Mit denen treffe ich mich einmal die Woche zum Jour fixe, bei dem ein Wochenplan mit unterschiedlichen Aufgaben festgelegt wird. Gemäß meinem Führungsprinzip der Eigenverantwortung will ich dann nicht über Zwischenschritte informiert werden, sondern nur über Ergebnisse. Nachmittags nach einem kleinen Mittagessen bin ich mein eigener Außenminister. Ich besuche Betriebe, Geschäftspartner, habe Termine oft bis in den späten Abend hinein.

Aber entschieden wird vom Chef?

AE: Wie Sie sicherlich schon gemerkt haben, versuche ich mich nicht zu sehr vom Tagesgeschäft vereinnahmen zu lassen, sondern mehr strategisch zu arbeiten. Mit den vier Vertrauten meine ich meine Geschäftsführung, zu der ich natürlich auch gehöre. Dort entscheiden wir zu fünft gemeinsam, das heißt, ich kann auch überstimmt werden. Ich kann nicht für mich in Anspruch nehmen, alles zu wissen und zu können. Im Leben gibt es immer Menschen, die besser sind als man selbst. Also delegiere ich auch sehr, sehr gern vertrauensvoll. Ansonsten können Sie ein Unternehmen in dieser Größe, aber auch in dieser Vielfalt nicht gesund managen.

Sie sind als Student mit 30 D-Mark und einer Reisetasche 1988 von der Türkei nach Deutschland eingereist.

AE: Ja, ich habe nichts geerbt oder irgendwann geschenkt bekommen, sondern ich habe mir alles selbst erarbeitet.

Zuerst sind Sie in der Eisdiele Ihres Bruders in Bergisch Gladbach gelandet.

AE: Ich habe bei ihm Eismacher gelernt, später noch das Handwerk des Gastronomen.

Und dann? Erzählen Sie uns bitte Ihre unglaubliche Lebensgeschichte?

AE: Ich komme aus einer Familie mit insgesamt 18 Kindern, von denen 13 noch am Leben sind. Dabei sind wir sechs Vollgeschwister und zwölf Halbgeschwister. Ich bin der jüngste Sohn in der Familie, die im Osten der Türkei zu Hause war und ist. Mein Vater hat in Köln gearbeitet und vier meiner Brüder, als sie 16 Jahre alt waren, nach Deutschland geholt. Ich allerdings wollte nicht, als er mich fragte.

Der Dialog ging folgendermaßen:

  • „Sohn, möchtest du nach Deutschland?“
  • „Ja, Papa, was macht man dann so genau in Deutschland?“
  • „Du musst erst mal zur Sprachschule, dann suchst du dir einen Beruf aus und gehst zur Berufsschule. Und wenn du das gemacht hast, dann kriegst du eine Arbeitserlaubnis. Dann kannst du Geld verdienen.“
  • „Moment, stopp. Habe ich dich richtig verstanden, eine Arbeitserlaubnis? Warum braucht ein Mensch zum Arbeiten eine Erlaubnis?“
  • „Ja, in Deutschland ist das so. Wenn du keine Erlaubnis hast, darfst du nicht arbeiten.“
  • „Okay, vielen Dank. Ich möchte nicht in ein Land, wo man zum Arbeiten eine Erlaubnis braucht. Danke. Ich bleibe in der Türkei.“

Anscheinend haben Sie schon damals gewusst, was Sie wollten.

AE: Sie können sich vorstellen, wie arm meine Familie mit 18 Kindern war. Diesem täglichen Überlebenskampf wollte ich entfliehen und vermögend werden. Ich wusste, das geht nur durch Bildung. Ich habe es geschafft, mein Abi zu machen, wollte erst eine Militärlaufbahn absolvieren.

Und sind dann doch in Deutschland gelandet.

AE: Ich habe aber an der Atatürk-Universität Prüfungen für ein Stipendium in Deutschland bestanden. Und so bin ich nicht als Gastarbeiter, sondern als angehender Akademiker hierhergekommen. Mittlerweile lebe ich 36 Jahre hier und bin deutscher Staatsbürger.

Was haben Sie studiert?

AE: Betriebswirtschaft in Düsseldorf. In Köln war ich auf der Sprachschule, hätte dort auch Volkswirtschaft studieren können. Aber BWL lag mir mehr, das Studium ist nicht so theoretisch, viel praxisbezogener, und es passt ja auch zu Ihrem Spruch: Wer nichts wird, wird Wirt. (lacht) Ich war damals gerade mal 20.

Und nebenbei immer gearbeitet?

AE: Ich hatte, wie gesagt, nur eins im Sinn: Ich wollte aus der Armut rauskommen. Ich habe bei meinem Bruder damals angefangen und seitdem immer in der Gastro gearbeitet, nebenbei habe ich noch als Dolmetscher dazuverdient. Eigentlich habe ich nebenbei studiert. Direkt nach meinem Studium 1994 war ich Marketingverantwortlicher eines Großunternehmens, danach dessen Geschäftsführer. 1996 habe ich mich mit Leonardo selbstständig gemacht.

Wie sind Sie denn auf den Namen gekommen, und was war Ihre Geschäftsidee?

AE: Ich habe alles über Leonardo da Vinci gelesen. Er ist für mich ein Universalgenie, das mich immer wieder inspiriert hat. Er war Bildhauer, Mediziner, Ingenieur, Architekt. Vielleicht kommt daher auch die Vielfältigkeit in meinem Unternehmen. Angefangen habe ich mit einem italienischen Restaurant auf der Kö, zu der ich eine besondere Beziehung habe.

Vermutlich haben Sie sich schon damals morgens die Zeit für sich genommen, um sich mit sich selbst zu matchen und zu entwickeln. Ging das alles ohne Mentoren?

AE: Natürlich hatte ich indirekt den ein oder anderen. Einer ist mit mir ins Kino, um mit mir den Film „Der Club der toten Dichter“ zu sehen. Ich war fasziniert, wie der Lehrer es geschafft hat, seine Schüler zum Fliegen zu bringen, ihnen Mut und Selbstvertrauen zu vermitteln. Dieser Film war ein Wendepunkt in meinem Leben. Außerdem liebe ich das Buch „Der Mönch, der seinen Ferrari verkaufte“, ein Klassiker über einen megaerfolgreichen Rechtsanwalt, der unter der Last seines Berufes gesundheitlich zusammenbricht und danach im Himalaya die wahren Werte des Lebens entdeckt. Aber soll ich Ihnen sagen, wer der wichtigste Mentor in meinem Leben war?

Wir sind gespannt?

AE: Es war meine Mutter.

Was haben Sie von ihr gelernt?

AE: Meine Mutter hat immer an mich geglaubt, und ich war als Kind nicht einfach. Mit sechs, sieben Jahren habe ich mich täglich geprügelt, war einfach schwierig, und es hieß immer: Aus dem wird nie was. Aber sie war immer da. Liebe und Fürsorge waren ihre Waffen und Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Fleiß, Selbstvertrauen ihre Werte, die sie mir vermittelt hat. Und sie hat mir frühzeitig beigebracht, Entscheidungen zu treffen. Bis zu ihrem Tod, sie ist im Alter von 92 Jahren 2017 verstorben, habe ich mich vor jeder Entscheidung mit ihr beraten. Sie war quasi meine Vorstandsvorsitzende im Unternehmen. Sie hat alles mitgetragen, ohne dass sie einen Tag in Deutschland war.

Cool. Und Sie haben von ihr auch gelernt, anderen Menschen, so wie Sie es jetzt auch praktizieren, Freiheiten zu geben, damit die sich selbst entscheiden können.

AE: Genau. Freiheiten geben, entscheiden lassen. Das gebe ich auch an meine mittlerweile erwachsenen Kinder weiter, auf die ich stolz bin. Meine Tochter hat in England studiert, arbeitet international für einen französischen Konzern, derzeit in Portugal. Mein Sohn ist im Unternehmen, hat von der Pike auf gelernt und plant jetzt seine ersten eigenen Projekte mit einem EISLAB-Konzept, das in den nächsten Jahren bundesweit und sogar europaweit 60–100 Shops eröffnen wird. Das, was meine Mama mit mir gemacht hat, habe ich auch gemeinsam mit meiner Frau bei meinen Kindern praktiziert, und so den Mut zur Selbstverwirklichung geweckt und gestärkt.

Sie sind Testimonial in einer Werbekampagne der Commerzbank. Millionen werden im Internet Ihr Gesicht sehen. Verbinden Sie eine Botschaft mit Ihrem Auftritt?

Ich arbeite seit Jahrzehnten mit der Commerzbank zusammen. Sie ist ein unverzichtbarer Partner, der mich bei all meinen Projekten von Anfang an unterstützt hat. Ich habe das zu Beginn nicht als selbstverständlich angesehen. Als Wirt bei einem Finanzunternehmen vorstellig zu werden, ist ja schon noch mal was anderes. Aber die Commerzbank hat immer zu mir gehalten. Für mich mit meinen Migrationswurzeln war das ein großes Geschenk – und heute ist es eine Message. Gerade in den Zeiten, in denen wir gesellschaftlich einen Rechtsruck erleben, steht ein so altes, traditionsreiches und erfolgreiches Unternehmen zu einem Typen, der Ali Erdoğan heißt. Mehr Botschaft gibt es nicht. Für mich ist das ein Beitrag zur Integration in den Köpfen und eine indirekte Aufforderung zu mehr Mut zur Selbstverwirklichung. So nach dem Motto:

Schaut euch die Story von dem Typen an. Was der kann, könnt ihr auch. Und wir helfen euch dabei.

Autor: Peter Lewandowski