Das Geheimnis des Könnens liegt im Wollen
02.09.2024 – Weltcupsiegerin und dreimal olympisches Gold – Maria Höfl-Riesch ist die erfolgreichste Skifahrerin Deutschlands und Europas.
Im Interview erzählt die Garmischerin mit Wohnsitz in Kitzbühel über das Auf und Ab ihrer Karriere, ihr Leben danach und was nicht nur Unternehmerinnen und Unternehmer von ihr als Sportlerin lernen können.
157 Kilometer auf der Autobahn können ganz schön lang sein. Die Strecke zwischen Garmisch-Partenkirchen und Kitzbühel ist immer wieder eine Herausforderung, gerade wenn man wie Maria Höfl-Riesch die Geschwindigkeit liebt. Baustellen, Staus, Sonntagsfahrer unter der Woche auf der linken Spur. Vor dem Interview mit der Commerzbank ist die Skirennfahrerin von ihrem Heimatort zu ihrem Wohnort auf der Inntal-Autobahn unterwegs. Maria Höfl-Riesch hasst Unpünktlichkeit. Umso unangenehmer ist es ihr, zum Gespräch eine Viertelstunde zu spät zu kommen – auch wenn sie die Verzögerung vorher schon telefonisch angekündigt hat. Denn neben Pünktlichkeit ist Verlässlichkeit ein großer Wert im Leben der Ex-Sportlerin, die heute eine viel beschäftigte Geschäftsfrau ist.
Mit dem Ende Ihrer Karriere begann in Ihrem Leben eine neue Zeitrechnung. Worauf sind Sie besonders stolz, wenn Sie auf die seitdem vergangenen zehn Jahre schauen?
MHR: Für mein Empfinden sticht da nichts Besonderes hervor. Viele haben damals zu mir gesagt, dieser Schritt sei doch viel zu früh. Am häufigsten hörte ich den Satz: „Mit 29 Jahren bist du für die Rente zu jung.“ Aber von Ruhestand konnte nach so vielen Jahren im Leistungssport mit dem Wechsel ins normale Leben natürlich keine Rede sein. Bis zum Ende meiner Karriere war ich in ein Korsett eingepfercht. Da gab es nicht viel Spielraum. Ich musste sozusagen abarbeiten, was mir vorgegeben wurde. In der Zeit danach musste ich proaktiver werden. Auf einmal war ich selbstständig und stand auf eigenen Beinen. Das war schon eine gewaltige Umstellung, aber ich glaube, das habe ich sehr gut hinbekommen.
Wer war in der Zeit an Ihrer Seite? Wie wichtig waren Beraterinnen und Berater für das neue Leben?
MHR: Mein Mann hat mich schon während meiner aktiven Zeit mit seiner Firma betreut. Und trotz unserer privaten Trennung werden wir beruflich weiter zusammenarbeiten. Ich habe großartige Leute an meiner Seite. Aber bei all der Unterstützung muss ich neue Herausforderungen auch allein meistern. Da ich nach dem Karriereende gleich die Aufgabe bei der ARD hatte, war die Umstellung gar nicht so groß, sondern eher fließend.
Sie sind heute eine erfolgreiche Geschäftsfrau mit verschiedenen Aufgaben. Wie würden Sie die Marke Maria Höfl-Riesch jemandem beschreiben, der Sie nicht kennt?
MHR: Über sich selbst so etwas zu sagen (lacht), ist komisch. Ich selbst sehe mich nicht als Marke, sondern als Person, die für gewisse Werte aus meiner aktiven Sportzeit und meiner Kindheit steht. Für mich ist das A und O die Authentizität. Ich mache nichts, womit ich mich nicht identifizieren kann. Projekte, bei denen es nur um Geld geht, sind nicht mein Ding. Alles, was ich unternehme, mache ich gern. Für mich ist das auch der springende Punkt in der Wahrnehmung von außen. Ich will einfach authentisch rüberkommen.
Sie sind selbst unter anderem Gastgeberin eines Podcasts, den Sie in einer Bergbahngondel in Kitzbühel, Ihrem Wohnort, aufnehmen. Wie kommt man auf so eine Idee, und welche Gäste haben Sie?
MHR: Die Idee mit der Gondelfahrt hatte ein erfolgreicher Podcast-Produzent. Es sind kurze Interviews, es geht einmal mit der Gondel hoch und natürlich wieder runter. Und in den 20 Minuten unterhalte ich mich mit Prominenten, die entweder wie Uschi Glas in Kitzbühel wohnen oder wegen einer der vielen attraktiven Veranstaltungen wie beispielsweise der weltberühmten Streif, des Hahnenkamm-Rennens, sowieso vor Ort sind. Es sind immer sehr witzige, kurzweilige Gespräche …
Was sind neben dem Podcast Ihre aktuellen Projekte?
MHR: Ich bin Beraterin einer Agentur in Berlin, die spezialisiert ist auf Personal Branding für Sportlerinnen und Sportler, Models, aber auch für Influencerinnen und Influencer. Wir machen sowohl Social-Media-Kooperationen als auch Werbeverträge für Testimonials aller Art, sind aber auch Content Creator. Außerdem planen und organisieren wir große Events für unsere Content Creators, beispielsweise beim Hahnenkamm-Rennen. tillit Management haben wir zu dritt gegründet und gehen gerade mit der Agentur den nächsten strategischen Schritt in einer Partnerschaft mit dem Influencer-Marketing-Pionier EQOLOT. Das ist das eine.
Und das andere?
MHR: Ich werde oft von Unternehmen als Keynote-Speakerin angefragt zu den Themen Motivation, Umgang mit Druck, aus Rückschlägen lernen und gestärkt aus Krisen hervorgehen und, eben ja, erfolgreich werden sowie erfolgreich bleiben. Alles, was ich in meiner aktiven Zeit erlebt habe. Der Erfolg fliegt einem nicht zu. Deswegen laufen die Vorträge auch unter dem Motto „Das Gold muss geschmiedet werden“. Ansonsten bin ich noch sozial engagiert: in der Stiftung Laureus Sport for Good als Academy Member und in der DFL Stiftung als Mitglied im Kuratorium. Ansonsten versuche ich aber auch, freie Zeit zu genießen. Bergtouren im Sommer und natürlich Skifahren im Winter. Letzteres ist allerdings auch oft mit Arbeit verbunden, weil mich Unternehmen gern für Skitage kombiniert mit Vorträgen buchen. Aber alles macht großen Spaß.
Als Testimonial haben Sie für die Otto Group mit eigener Kollektion geworben und für Hapag-Lloyd auf dem Luxus-Kreuzfahrtschiff „MS Europa 2“ mit Fitnessprogrammen und Vorträgen. Jetzt sind Sie Werbebotschafterin der Commerzbank. Was hat Sie an der neuen Aufgabe gereizt?
MHR: Na ja, das Unternehmen ist nicht nur sehr, sehr erfolgreich, die Commerzbank ist für mich vor allem ein super Partner, weil ich mich mit den Werten identifizieren kann: Verlässlichkeit, Vertrauen, Nachhaltigkeit, Konstanz und Verantwortung spielen auch in meinem Leben eine große Rolle. Deswegen habe ich bei der Anfrage keinen Moment gezögert und bin froh über eine Partnerschaft, die für beide Seiten sinnvoll ist.
Was können denn Unternehmerinnen und Unternehmer von Sportlerinnen und Sportlern lernen?
MHR: Es ist auch in Unternehmen wichtig, mit Drucksituationen richtig umgehen zu können. Das ist auch, wie gesagt, ein großer Bestandteil meines Vortrages. Wie händelt man Dinge, auch wenn sie aussichtslos erscheinen? Wie kann ich da meine Leistung abrufen, wenn es mal nicht funktioniert, wenn es einen Rückschlag gibt? Sowohl in der Wirtschaft als auch im Sport wird monatelang an einem Projekt gearbeitet. Der Weg zum Ziel ist nicht immer linear. Es gibt immer wieder Stolpersteine, die mit Geduld, Umsicht und Willen zu bewältigen sind. Es kann aber auch passieren, dass alles glattläuft, und kurz vor Abschluss passiert etwas nicht Vorgesehenes. Im Worst Case platzt das ganze Projekt, und alles geht wieder von vorn los. Das habe ich in meiner Sportkarriere oft genug erlebt. Gerade bei schweren Verletzungen. Die Kunst ist, bei Rückschlägen trotzdem noch das Positive zu sehen und dabei seine Learnings zu haben.
Klingt erst mal easy…
MHR: Zum Wollen gehören eiserner Wille und Durchhaltevermögen. Und ja, es ist immer wieder dasselbe. Man darf sich nicht unterkriegen lassen, man darf sich durch nichts vom Weg abbringen lassen. Man muss immer sein Ziel vor Augen behalten, und wenn man etwas wirklich will, dann kann man es auch schaffen.
Sie haben vorhin schon die Werte aus Ihrer Kindheit angesprochen. Welche, die Sie von Ihren Eltern mitbekommen haben, sind Ihnen bis heute wichtig?
MHR: Das Thema Verlässlichkeit habe ich schon im Zusammenhang mit der Commerzbank angesprochen. Ehrgeiz und Strukturiertheit sind bei mir sehr ausgeprägt. Ich hatte schon als Kind einen sehr strukturierten Alltag. Nach der Schule hat unsere Mutter uns mit den Skisachen abgeholt. Wir haben uns im Auto umgezogen, noch schnell die Brotzeit-Box mit dem Käsebrot geleert und dann ging es rauf auf den Berg. Skitraining bis um halb fünf. Zweimal die Woche hatten wir im Anschluss noch Tennistraining von fünf bis sechs Uhr. Und dann ging es nach Hause, Hausaufgaben machen, Abendessen und ins Bett. (lacht) Und an den Wochenenden sind meine Eltern mit uns zu den Skirennen gefahren oder im Sommer zu Tennisturnieren. Oder wenn mal nichts war, haben wir trotzdem eine Berg- oder Fahrradtour unternommen. Das hat mich sehr geprägt, und deswegen bin ich auch heute so.
Haben Sie denn als Kind schon von einer großen Skikarriere geträumt?
MHR: Irgendwie schon, aber für ein Kind ist das alles noch nicht so wirklich greifbar. Ich habe mir Skirennen im Fernsehen angeschaut und die Leute mit ihren Zebra-Anzügen bewundert. Im Alter von 13, 14 Jahren habe ich auf einmal gemerkt, dass ich meinen sportlichen Zielen näherkomme. Ich gehörte zu den besten meiner Altersklasse. Zu den besten in Deutschland und weltweit. Und mit 16 bin ich auch mein erstes Weltcuprennen gefahren. In meinem Heimatort Garmisch mit der letzten Startnummer. Aber ich bin als 20. durchs Ziel und war das erste Mal in der Punktwertung.
War nah dran an meinen Idolen Hilde Gerg und Martina Ertl, von denen ich mit elf Jahren noch am Gletscher Autogramme ergattert habe.
Was würden Ihre Eltern über diese Zeit erzählen?
MHR: Sie sind wahnsinnig stolz auf meine Skikarriere und haben mich von klein auf unterstützt. Ich glaube, am meisten hat sie beeindruckt, wie ich alles durchgezogen habe – gegen alle Widerstände – und mich auch nach Verletzungen immer wieder durchgekämpft habe.
2006 hatten wir mit der Fußballweltmeisterschaft das große Sommermärchen, für Sie aber war es wohl die härteste Zeit Ihrer Karriere. Wie schwer war es, nach zwei Kreuzbandrissen hintereinander wieder zurückzukommen?
MHR: Den ersten Kreuzbandriss hatte ich mit 20 Jahren, drei Wochen vor der WM in Bormio. Das war schon sehr bitter. Ich war damals super in Form, hatte bis dato noch keine Medaille gewonnen, die aber mein großes Ziel war. Und dann passiert’s. Damals habe ich mir gedacht, so ein Kreuzbandriss gehört zu jeder Skikarriere. Also abhaken, gut, wenn so etwas gleich zu Beginn der Karriere passiert. Der zweite war ein paar Monate nach dem ersten wesentlich schlimmer. Kurz vor meinem großen Traum – Olympia. Das war bitter, zumal die Spiele ja nur alle vier Jahre stattfinden und ich das zweite Jahr in Folge ausgefallen bin. Mit der Motivation war es damals nicht immer einfach, die Reha verlief schleppend, eine weitere Operation stand im Raum, ich konnte nicht richtig Muskulatur aufbauen, hatte Schmerzen. Es war die härteste Zeit meines Lebens. Aber im Nachhinein gesehen war es auch eine gute, harte Schule. Und danach kamen die großen Erfolge mit den drei Olympiasiegen und dem Weltcup. Da wären wir wieder bei der Schule fürs Leben: dranbleiben, sein Ziel im Auge behalten und alles immer versuchen. Eben: Das Geheimnis des Könnens liegt im Wollen.
Menschen, die Sie näher kennen, beschreiben Sie als eine sehr gesellige Frau, mit der man auch mal um die Häuser ziehen und Spaß haben kann. Ist das die zweite Maria?
MHR: Bei allem Ehrgeiz und Willen habe ich natürlich im Sport auch das Loslassen gelernt. Nicht nur Sportlerinnen und Sportler brauchen im Leben Regenerationsphasen. Ich habe einen großen Freundeskreis, der mir ganz wichtig ist und mit dem ich auch sehr viel unternehme. Als wir neulich die sieben Stunden zu neunt die Zugspitze hoch sind, und das war echt hart, saßen wir dann stundenlang oben am Münchner Haus in der Sonne, haben lecker gegessen und ein bisschen was getrunken. Wir waren ganz beseelt, es geschafft zu haben.
Wo sieht man denn Maria Höfl-Riesch in zehn Jahren?
MHR: Gute Frage. Also, ich werde jetzt erst mal Ende des Jahres 40. Das ist schon ein Meilenstein. Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Und in den nächsten zehn Jahren kommt irgendwie noch mal was Neues, mal schauen. Aber ich kann auch nicht in die Zukunft blicken. Auf jeden Fall möchte ich noch eine Expedition in die Antarktis unternehmen.
Autor: Peter Lewandowski