"Wir würden Kunden verlieren"

Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp hat dem Handelsblatt ihr erstes Interview in ihrer neuen Position gegeben. Darin warnt sie vor Risiken eines Zusammenschlusses mit Unicredit.

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Andreas Kröner und Sebastian Matthes

Handelsblatt

Bettina Orlopp im Gespräch
Bettina Orlopp im Gespräch© Commerzbank

Frau Orlopp, Sie sind seit vergangenem Dienstag die erste Vorstandschefin in der 154-jährigen Geschichte der Commerzbank. Hatten Sie schon Zeit zu feiern?
Nicht viel. Der Fokus liegt derzeit ganz klar auf anderen Themen.

Sie übernehmen den Posten in schwierigen Zeiten. Die italienische Unicredit ist bei der Commerzbank eingestiegen und strebt eine Komplettübernahme an. Am vorletzten Freitag haben Sie sich erstmals länger mit Unicredit-Chef Andrea Orcel ausgetauscht. Wie war die Atmosphäre in dem Gespräch?
Wir haben vereinbart, dass wir öffentlich nicht über die Details sprechen. Es war aber insgesamt ein sehr professionelles Treffen und ein guter Dialog.

Ging es in dem Gespräch auch um eine mögliche Übernahme der Commerzbank durch Unicredit?
Nein. Es war ein klassisches Investorengespräch. Unicredit ist jetzt ein größerer Aktionär und da gehört der professionelle Austausch zur geschäftlichen Entwicklung der Commerzbank dazu. Zu seiner Beteiligung hat Herr Orcel selbst öffentlich dargelegt, dass er mehrere Optionen hat: Er kann unsere Aktien wieder verkaufen, halten oder mit uns über einen möglichen Zusammenschluss sprechen.

Welche Option bevorzugen Sie?
Bei uns liegt aktuell nur eine Option auf dem Tisch - und das ist eine sehr gute: die Umsetzung unserer Strategie 2027, die auf der Eigenständigkeit der Bank fußt. Erst vor wenigen Tagen haben wir unsere Wachstumsstory geschärft und wichtige Finanzziele angehoben. Bis 2027 peilen wir nun eine Eigenkapitalrendite von mehr als zwölf Prozent an, also gut drei Prozentpunkte mehr als im ersten Halbjahr 2024. Und das ist, über 2027 hinausgeblickt, noch nicht das Ende der Fahnenstange. Wir werden so erheblichen Wert für alle unsere Stakeholder schaffen, ohne die Umsetzungsrisiken anderer Optionen, weil wir genau wissen, was wir dafür tun müssen. Wir liefern, was wir versprechen. Das war in den vergangenen Jahren der Fall, und das wird auch künftig so sein.

Was machen Sie, wenn Ihnen Herr Orcel früher oder später einen Vorschlag für eine Übernahme unterbreitet?
Es ist meine Pflicht und mein Anspruch, einen solchen Vorschlag professionell zu bewerten. Diese Bewertung muss zunächst den Ansprüchen unserer Besitzer, also unserer Aktionäre, gerecht werden. Daneben müssen wir natürlich auch die Interessen unserer Kundinnen und Kunden sowie unserer Beschäftigten berücksichtigen, was im Übrigen in der Regel nicht in einem Widerspruch mit den Interessen unserer Aktionäre stehen muss.

Die Aktionäre sehen jedenfalls Vorteile in einem Verkauf: Die Aktienkurse beider Banken sind seit dem Einstieg von Unicredit deutlich gestiegen. Auch große Investoren wie Blackrock haben sich für Bankenfusionen in Europa ausgesprochen. Warum sind Sie so skeptisch?
Ich bin nicht grundsätzlich gegen Fusionen. In meinen fast zwanzig Jahren bei McKinsey habe ich viele Transaktionen begleitet. Gerade aus dieser Erfahrung habe ich einen sehr differenzierten Blick auf das Thema. Manche Übernahmen ergeben Sinn, andere nicht. Nur weil ein Zusammenschluss auf dem Papier gut aussieht, heißt das noch lange nicht, dass er auch gut umgesetzt wird und am Ende erfolgreich sein und Wert für unsere Aktionäre schaffen kann.

Welche Risiken sehen Sie bei einem Zusammenschluss von Commerzbank und Unicredit?
Die Integration von zwei großen Banken ist extrem schwierig. Das weiß die Commerzbank auch aus eigener Erfahrung. Nach der Übernahme der Dresdner Bank 2008 waren wir mehrere Jahre damit beschäftigt, die Systeme beider Banken zusammenzuführen. Einen solchen Stillstand können wir uns in der heutigen Zeit, die von so vielen technologischen Umbrüchen und von einem sehr intensiven Wettbewerb geprägt ist, nicht leisten.

Kritiker eines Zusammenschlusses fürchten Auswirkungen für deutsche Mittelständler und Konzerne.
Zu Recht. Bei den Firmenkunden gibt es zwischen der deutschen Unicredit-Tochter HVB und uns große Überlappungen. Im Falle einer Fusion müssten die Kreditengagements bei einigen Unternehmen reduziert werden, um Klumpenrisiken zu verhindern. Bei Bankfusionen ist eins plus eins eben nicht immer zwei. Zudem würden sich manche Unternehmen vermutlich von sich aus andere Bankpartner suchen, weil sie nicht zu abhängig von einem Institut sein wollen.

Würde die Commerzbank in Krisenzeiten anders agieren, wenn sie Teil des Unicredit-Konzerns wäre?
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es gerade in schwierigen Phasen einen großen Unterschied macht, wo die Entscheidungsträger sitzen. Das gilt nicht nur für Krisen wie Corona, die das ganze Land betreffen, sondern auch für einzelne Unternehmen, die sich in einer kritischen Situation befinden. Ich bin mir sicher: Unsere Kunden wissen, was sie an einer stark im heimischen Markt verankerten, eigenständigen Commerzbank haben.

Können Sie das konkreter machen?
Bei heimischen Instituten ist die Bereitschaft, solchen Firmen im Rahmen eines Bankenkonsortiums zu helfen, meist größer als bei internationalen Geldhäusern. Über viele Jahre gewachsene Beziehungen und eine tiefere Marktkenntnis sind dafür ausschlaggebende Faktoren. Man sollte sich deshalb genau überlegen, ob man relevante heimische Institute leichtfertig aufgeben will.

DZ-Bank-Chef Cornelius Riese hat sich vergangene Woche positiv zu einer Commerzbank-Übernahme geäußert. Er geht davon aus, dass es wegen des hohen Wettbewerbs am deutschen Bankenmarkt nicht zu Kreditengpässen kommen würde.
Ich musste ein bisschen schmunzeln, als ich das gelesen habe. Aber es überrascht mich nicht, dass unsere Wettbewerber einen solchen Deal gut fänden. Sie könnten dann mit unseren Kunden mehr Geschäfte machen. Das Gleiche erleben wir gerade in der Schweiz nach der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS. Da haben wir als Commerzbank zahlreiche neue Firmenkunden gewonnen.

Sie haben von der Ratingagentur S&P ein "A"-Rating, Unicredit liegt mit "BBB" drei Stufen tiefer. Was würde eine Fusion für Ihre Bonitätsnote bedeuten?
Unser Rating würde sich verschlechtern, wahrscheinlich sogar deutlich. Dadurch würden unsere Refinanzierungskosten steigen.

Welche Folgen hätte das für die Kunden?
Wir würden Kunden verlieren, die bestimmte Rating-Anforderungen haben und nur mit Banken mit sehr guten Bonitätsnoten Geschäfte machen. Die Commerzbank hatte 2020 noch ein schlechteres Rating und konnte es durch die erfolgreiche Restrukturierung und die signifikante Verbesserung ihrer Profitabilität in den vergangenen Jahren verbessern. Das macht einen riesigen Unterschied.

Unicredit hat zahlreiche italienische Staatsanleihen in ihrer Bilanz. Besteht im Falle einer Übernahme die Gefahr, dass auch die Commerzbank in Bedrängnis gerät, wenn eine neue Schuldenkrise ausbricht und italienische Bonds unter Druck geraten?
Das Portfolio an italienischen Staatsanleihen ist ein Thema, das man sich genau anschauen müsste. Das gilt auch für alle anderen potenziellen Risiken, beispielsweise das Engagement von Unicredit in Russland. Aber an diesem Punkt sind wir gerade gar nicht.

Die Bundesregierung steht einer Übernahme kritisch gegenüber und will eine Lösung finden "auf Basis der Eigenständigkeit der Commerzbank". Was kann die Regierung aus Ihrer Sicht tun, um das zu erreichen?
Wir finden es hilfreich, dass der Bund erst einmal keine weiteren Commerzbank-Aktien verkaufen will. Das gibt uns die Möglichkeit, in Ruhe darzustellen, welches Potenzial wir als eigenständiges Institut haben. Viele unserer Aktionäre sind auch an Unicredit beteiligt. Sie sind damit Anteilseigner von zwei profitablen Instituten, die jedes Jahr einen großen Teil ihrer Gewinne ausschütten - in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen. Diese Investoren werden sich überlegen müssen, ob eine Übernahme mit allen verbundenen Umsetzungsrisiken für sie besser ist, als in zwei starken, unabhängigen Instituten investiert zu bleiben.

Als Treuhänderin Ihrer Aktionäre müssen Sie ein mögliches Übernahmeangebot ergebnisoffen prüfen. Aktuell liegt Ihr Aktienkurs bei knapp 16 Euro. Ab welchem Preis pro Aktie wäre es im Interesse Ihrer Aktionäre, eine Offerte anzunehmen?
Bislang gibt es keine Offerte, die man bewerten kann. Wir haben aber natürlich eine Vorstellung, was unser inhärenter Wert ist.

Und zwar?
Wie gesagt: Bislang gibt es keine Offerte. Und ich möchte auch an dieser Stelle nicht darüber spekulieren, wie eine solche Offerte aussehen sollte oder könnte. Wir konzentrieren uns voll und ganz auf die Umsetzung unserer Strategie 2027.

Kann die Commerzbank einen Kurs von 25 bis 30 Euro auch als eigenständiges Institut erreichen?
Davon bin ich überzeugt. Wir sehen heute schon Kursziele von Analysten von 20 Euro und mehr, weil wir in den vergangenen Jahren immer wieder die Ergebnisse abgeliefert haben, die wir versprochen hatten. Genau das ist auch unser Plan für die kommenden Jahre. Und wenn ich mir die mittelfristigen Ziele für unser Ergebnis pro Aktie ansehe, ist das von Ihnen genannte Niveau klar erreichbar.

Sie könnten eine Übernahme verhindern, wenn Sie einen neuen Ankeraktionär finden, der zusammen mit dem Bund auf eine Sperrminorität kommt. Führen Sie Gespräche mit potenziellen "weißen Rittern", etwa mit der Deutschen Bank?
Es war in meiner Funktion als CFO und ist jetzt als CEO eine meiner Hauptaufgaben, insbesondere institutionelle Investoren von der Attraktivität einer Investition in die Commerzbank zu überzeugen.

Viele europäische Bankenaufseher, Politiker und Ökonomen sehen den Widerstand der Bundesregierung gegen eine Übernahme kritisch. Sie argumentieren, Deutschland könne nicht mehr Europa fordern, dann aber eine solche Übernahme blockieren.
Wir unterstützen die Kapitalmarktunion und die Bankenunion, aber ein Zusammenschluss von Commerzbank und Unicredit würde beides nicht voranbringen. Im Kern würde es sich um eine Konsolidierung innerhalb Deutschlands handeln. Dadurch wird Europa nicht europäischer. Stattdessen bräuchten wir zuerst in vielen Bereichen einheitliche Regelungen, etwa im Insolvenz- oder Verbraucherrecht. Und für die Vollendung der Bankenunion ist eine europäische Einlagensicherung essenziell.

Dass es dazu in absehbarer Zeit kommt, ist höchst unwahrscheinlich.
Genau. Nationale Aufsichtsbehörden müssen deshalb sicherstellen, dass Banken in allen EU-Staaten, in denen sie tätig sind, genügend Mittel vorhalten, um Sparer im Krisenfall auszahlen zu können. Für Banken bedeutet das, dass sie Kapital und Liquidität nicht beliebig grenzüberschreitend einsetzen können. Das sorgt wiederum dafür, dass die grenzüberschreitenden Synergien bei Bankenfusionen sehr überschaubar sind.

Unicredit-Chef Orcel hat die geplante Übernahme der Commerzbank als "Testfall für Europa" bezeichnet, an dem sich zeigen werde, ob man in Europa zusammenkommen und eine stärkere Bank schaffen könne.
Wenn ich Kommentare der italienischen Regierung lese, dass bei einem Zusammenschluss auf jeden Fall die Zentrale der Bank und alle wichtigen Funktionen in Mailand bleiben müssten, hört sich das für mich nicht sehr proeuropäisch an. Da haben wir alle noch einen langen Weg zu gehen.

Herr Orcel hat Sie und die Bundesregierung mit seinem Einstieg bei der Commerzbank ziemlich überrumpelt.
Man kann sicher trefflich über das Vorgehen diskutieren. Aber das bringt uns nicht weiter. Unicredit ist jetzt Aktionär und wir müssen damit umgehen.

Der Einstieg von Unicredit hat in der Commerzbank große Unruhe ausgelöst. Mitarbeiter und Kunden sind verunsichert und werden von der Konkurrenz angesprochen. Wie lange können Sie als Übernahmeziel durchhalten, ohne dass das Geschäft massiv leidet?
Wir sprechen intensiv mit unseren Kundinnen und Kunden und natürlich mit unseren Beschäftigten. Kommunikation ist in so einer Phase sehr wichtig. Wir müssen unseren Beschäftigten deshalb die klare Perspektive aufzeigen, dass wir eigenständig stark genug sind und unser Geschäftsmodell konsequent weiterentwickeln.

Welche Idee haben Sie für die Commerzbank als eigenständiges Institut?
Wir arbeiten im Vorstandsteam gerade an der Frage, welche Ziele wir uns für die Zeit nach 2027 setzen wollen. Normalerweise hätten wir damit erst im nächsten Jahr begonnen. Nun ziehen wir es vor, weil wir eine Vergleichsbasis haben wollen, falls uns Unicredit einen Zusammenschluss anbietet. Da die Umsetzung einer Fusion viele Jahre dauern würde, ist es wichtig, diesem Szenario eine mittel- bis langfristige Perspektive als eigenständiges Institut entgegensetzen zu können.

Die Commerzbank könnte auch selbst größere Übernahmen anstoßen. Wird das Teil der Strategie?
Wir haben ja bereits mehrere kleinere Zukäufe getätigt, die unser Geschäftsmodell stärken. Dafür sind wir weiter offen. Unser Appetit auf die Übernahme einer größeren Bank, deren Integration uns viele Jahre beschäftigen würde, ist dagegen gering.

Herr Orcel fordert, die Commerzbank müsse deutlich profitabler werden. Als Orientierungspunkt hat er die HVB genannt. Deren Eigenkapitalrendite ist - genauso wie die der Unicredit-Gruppe - etwa doppelt so hoch wie Ihre. Kann die Commerzbank solche Werte allein jemals erreichen?
Wir sind auf einem guten Weg, unsere Profitabilität weiter zu steigern. Ein Vergleich mit der HVB hinkt aber, weil wiederum sie sich stark auf den Vertrieb konzentriert und die Zentrale in Mailand wichtige Aufgaben für sie übernimmt. Die Unicredit-Gruppe ist in vielen Ländern aktiv, in denen die Lohnkosten niedriger und die Erträge höher sind als in Deutschland, und erzielt deshalb höhere Renditen - ähnlich wie wir bei unserer polnischen Tochter M-Bank. Das alles zeigt: Vieles sieht nur auf den ersten Blick klar aus, es lohnt sich auf jeden Fall, genauer hinzuschauen.

Das Interview wurde veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Handelsblatts.