„Ist der Start misslungen, wird es schwierig“

Commerzbank-Aufsichtsratschef Jens Weidmann spricht mit dem Handelsblatt über die Übernahmeavancen von Unicredit, die anstehende Hauptversammlung und die Geldpolitik der EZB.

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Andreas Kröner und Michael Maisch

Handelsblatt

13.01.2025

Porträt des Commerzbank-Aufsichtsratschefs Jens Weidmann
© Jörg Puchmüller

Herr Weidmann, Unicredit ist 2024 bei der Commerzbank eingestiegen und würde das Institut am liebsten komplett übernehmen. Wie finden Sie das?
Ich habe Zweifel, dass eine feindliche Übernahme im Bankensektor nachhaltig Werte schaffen kann. Bei Zusammenschlüssen ist es wichtig, dass das Management zunächst vertrauensvoll miteinander redet und ein gemeinsames Verständnis entwickelt. Unicredit hat sich dagegen entschieden und uns mit seinem Einstieg überrascht. Das ist kein guter Stil.

Würden Sie das bisherige Vorgehen von Unicredit als feindlich bewerten?
Freundlich wäre gewesen, auf das Management des anderen Unternehmens zuzugehen, sich mit ihm auszutauschen und auf den Tisch zu legen, was man vorhat. Das ist nicht passiert. Deshalb würde ich sagen, nein, es ist kein freundlicher Angang.

Sehen Sie noch die Chancen, dass aus dem unfreundlichen Anfang eine freundliche Übernahme wird?
Das ist wie bei jeder Beziehung: Wenn der Start misslungen ist, wird es schwierig. Es bräuchte einiges an Arbeit, um genügend Vertrauen herzustellen und ergebnisoffene Gespräche zu ermöglichen.

Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp und Vertreter der Bundesregierung haben sich bereits kritisch zum Vorgehen von Unicredit geäußert. Warum haben Sie sich bisher bedeckt gehalten?
Alles hat seine Zeit, und nicht jeder muss immer alles kommentieren. Die erste Anlaufstelle ist der Vorstand, der ja bereits Investorengespräche mit Unicredit als neuem Aktionär geführt hat. Als Aufsichtsrat überwachen und beraten wir den Vorstand kontinuierlich. Und sollte Unicredit irgendwann ein Angebot vorlegen, werden wir das im Aufsichtsrat unvoreingenommen und mit Blick auf unsere Stakeholder prüfen. Bisher liegt aber nichts auf dem Tisch.

Viele Commerzbank-Aktionäre fänden eine Übernahme gut, der Aktienkurs ist seit dem Einstieg von Unicredit deutlich gestiegen.
Dass der Aktienkurs steigt, wenn ein zusätzlicher Käufer am Markt auftritt, ist nicht erstaunlich. Zur positiven Kursentwicklung in den vergangenen Monaten haben aber auch die guten Finanzkennzahlen der Commerzbank beigetragen und die Ankündigung, am 13. Februar eine Weiterentwicklung unserer Strategie vorzulegen. Dem möchte ich nicht vorgreifen. Die Commerzbank wird sich aber sicher noch ambitioniertere Ziele setzen als bisher und Mehrwert für ihre Aktionäre schaffen.

Dennoch stellt sich die Frage, ob die Commerzbank groß genug ist, um allein dauerhaft zu bestehen, oder sie nicht besser mit einem größeren Institut wie Unicredit zusammengehen sollte.
Ich finde es seltsam, wie schnell und stark sich die Diskussion über die Größe von Banken verändert hat. Nach der Finanzkrise war es Konsens, dass Banken nicht "too big to fail" sein dürfen - also zu groß, um im Notfall abgewickelt zu werden. Nun wird oft der Eindruck vermittelt, nur sehr große Banken könnten bestehen - also „big is beautiful”. Das ist verwunderlich.

Größe kann im Bankengeschäft aber durchaus vorteilhaft sein, beispielsweise bei IT-Investitionen.
Natürlich haben große Banken Kostenvorteile. Aber Größe ist nicht in jeder Hinsicht besser. Ich habe Zweifel, dass ein sehr großes Institut, bei dem Entscheidungen zum Teil aus weiter Ferne getroffen werden, seine Kunden besser betreuen kann als ein Geldhaus wie die Commerzbank, das traditionell nahe am Kunden ist. Ob es den Mitarbeitern besser ginge, ist ebenfalls fraglich.

Die Forderungen von Bankern und EZB-Vertretern, es brauche eine stärkere Konsolidierung des europäischen Bankensektors, halten Sie also für falsch?
Viele hoffen, dass ein Zusammenschluss von Unicredit und Commerzbank für einen Schub bei der Vollendung der europäischen Bankenunion sorgt. Entscheidungen, auf die sich die Mitgliedstaaten bislang nicht verständigen konnten, lassen sich jedoch nicht erzwingen, indem man die politische Willensbildung umgeht.

Was wäre aus Ihrer Sicht der richtige Weg, um für ein stärkeres Zusammenwachsen des europäischen Bankenmarkts zu sorgen?
Erst muss die Bankenunion vollendet werden. Dafür braucht der europäische Abwicklungsfonds den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als Letztabsicherung - was Italien verhindert hat. Zudem geht es um die europäische Einlagensicherung. Voraussetzung dafür ist eine angemessene Kapitalunterlegung für die mancherorts beträchtlichen Portfolios an Staatsanleihen in den Bankbilanzen. Dieser Punkt ist mir besonders wichtig, denn wir sollten Staatsschulden nicht durch die Hintertür vergemeinschaften. Erst wenn Liquidität und Kapital frei über Ländergrenzen hinweg eingesetzt werden können, machen grenzüberschreitende Bankenfusionen mehr Sinn.

Was bedeutete es für den Standort Deutschland und den Finanzplatz Frankfurt, wenn die Commerzbank verkauft würde?
Für die finanzielle Souveränität Deutschlands wäre es vorteilhaft, zwei große unabhängige Privatbanken zu haben. Welche Entwicklungen Banken nach dem Verlust ihrer Unabhängigkeit nehmen können, zeigt der Blick auf die Hypo-Vereinsbank und die Bank Austria, die 2005 von Unicredit übernommen wurden. Der Fußabdruck der Commerzbank in Deutschland würde vermutlich kleiner, die Attraktivität des Finanzplatzes Frankfurt würde leiden. Viele Kunden, vor allem aus dem Mittelstand, wären gezwungen, sich neu zu orientieren.

Neben der Commerzbank will Unicredit in Italien die Banco BPM kaufen. Die Integration von BPM will das Institut spätestens bis Sommer 2026 abschließen und sich anschließend um die Commerzbank kümmern. Halten Sie das für realistisch?
Bitte sehen Sie mir nach, dass ich mir nicht für das Unicredit-Management den Kopf zerbrechen möchte. Aber eine große Herausforderung, die viele Ressourcen bindet, wäre eine solche doppelte Übernahme bestimmt. Sicher ist, dass das Transaktionsrisiko, das wir im Aufsichtsrat bei der Beurteilung eines möglichen Angebots berücksichtigen müssten, dadurch steigt. Ich gehe davon aus, dass sich auch die EZB-Bankenaufsicht das Thema genau ansehen wird.

Zu einem Showdown könnte es bereits am 15. Mai bei der Hauptversammlung der Commerzbank kommen. Wenn Unicredit bis dahin seine Finanzinstrumente in Aktien umgewandelt hat, hätte das Institut möglicherweise die Stimmmehrheit und könnte Entscheidungen durchdrücken. Haben Sie Angst, dass Unicredit zum Beispiel Aufsichtsräte absetzt oder Sie als Versammlungsleiter?
Ich unterstelle allen Beteiligten bei solchen Versammlungen grundsätzlich eine gewisse Rationalität. Und ich wüsste nicht, warum Unicredit ein Interesse haben sollte, die Veranstaltung in einer solchen Weise zu nutzen. Und Unicredit-Chef Andrea Orcel hat ja bereits erklärt, dass die Unicredit keinen Aufsichtsratssitz anstrebt. Wenn es unterschiedliche inhaltliche Ansichten oder unterschiedliche Perspektiven auf die Strategie gibt, können wir darüber gerne auf der Hauptversammlung diskutieren. Wir werden auf alles vorbereitet sein.

Die letzten fünf Hauptversammlungen der Commerzbank haben digital stattgefunden, was viele Aktionärsvertreter kritisiert haben. Ist 2025 angesichts des Einstiegs von Unicredit ein guter Zeitpunkt, um zu einem Treffen in Präsenz zurückzukehren, um die Stimmung der Aktionäre live mitzubekommen?
Wir werden die Hauptversammlung dieses Jahr wieder in Präsenz in Wiesbaden abhalten. Das hat allerdings nichts mit Unicredit zu tun, sondern mit unserem neuen Vergütungssystem. Das ist ein Kernelement der Unternehmenssteuerung, über das wir mit unseren Aktionären gern persönlich diskutieren wollen.

Sind virtuelle Hauptversammlungen bei der Commerzbank damit Geschichte?
Nein, wir werden zwischen Aktionärstreffen vor Ort und virtuellen Veranstaltungen wechseln, abhängig von der Tagesordnung und der aktuellen Situation. Beide Formate haben Vor- und Nachteile. Wir verfolgen einen pragmatischen Ansatz und wollen deshalb in diesem Jahr prophylaktisch eine Genehmigung für mögliche virtuelle Hauptversammlungen 2026 und 2027 einholen.

Lassen Sie uns über die deutsche Wirtschaft sprechen, die erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik drei Jahre in Folge schrumpfen könnte. Müssen wir uns Sorgen machen?
Die aktuellen Konjunkturdaten sind schwach, die Aussichten eher mau. Der Sachverständigenrat schätzt, dass das Produktionspotenzial über die nächsten Jahre nur mit einer Rate von unter einem halben Prozent wachsen wird, was aus meiner Sicht noch bedrückender ist als die schwächelnde konjunkturelle Entwicklung. Wir sehen auch, dass Investitionen zunehmend ausbleiben und die Infrastruktur bröckelt.

Wie sollte die neue Bundesregierung darauf reagieren?
Sie sollte mehr wirtschaftspolitische Verlässlichkeit schaffen und sich weniger am staatlichen Feintuning - zum Beispiel durch Subventionen - versuchen. Die Regierung sollte einen Rahmen setzen, in dem unternehmerische Aktivität gedeihen kann und der Innovationskraft belohnt.

Das klingt abstrakt, wo sehen Sie konkrete Ansatzpunkte für Reformen?
Wir müssen auf die drei „Ds” Antworten finden. Die Demografie ist für Deutschland eine besondere Herausforderung. Die wachstumsfreundliche Gestaltung der Dekarbonisierung ist die zweite Herausforderung und der Trend zur Deglobalisierung, der durch den neuen US-Präsidenten Donald Trump noch einmal verstärkt wird, die dritte.

Wie sollte die neue Regierung auf die demografische Entwicklung und den Fachkräftemangel reagieren?
Hier geht es zuallererst um Bildung und Arbeitsanreize, um das vorhandene Potenzial besser zu mobilisieren. Sinnvoll gesteuerte Migration kann zu einem gewissen Maß helfen, den Fachkräftemangel zu lindern. Zudem sollten wir das Renteneintrittsalter nach oben flexibler gestalten, auch um die gesetzliche Rentenversicherung zu stabilisieren und eine für alle Generationen faire Lösung zu finden. Mir leuchtet ein, dass ein Dachdecker mit 70 nicht mehr auf dem Dach arbeiten kann. Aber es gibt sehr viele Berufe, in denen Menschen auch über das derzeitige Renteneintrittsalter hinaus produktiv sein können und wollen.

Das zweite D wäre die Dekarbonisierung ...
Hier wäre es wichtig, marktkonforme Lösungen zu finden, statt auf punktuelle und kleinteilige Subventionen und Verbote zu setzen. Der CO2-Preis spielt hier für mich die zentrale Rolle.

Die Deglobalisierung trifft die Exportnation Deutschland besonders hart. Wie sollte die Regierung darauf reagieren?
Über die Frage hinaus, wie wir unsere Lieferketten resilient gestalten können und wie wir möglichst viele Märkte, beispielsweise auch durch Freihandelsabkommen, offenhalten, geht es um die Attraktivität des Standorts: Viele Länder um uns herum haben ihre Unternehmensteuern reformiert. Hier sollten wir nachbessern. Unternehmen klagen auch über zu viel bürokratische Lasten. Wir sollten Regulierung - auch auf europäischer Ebene - vereinfachen, die Digitalisierung von Behörden und Verwaltung vorantreiben und eine funktionierende Infrastruktur sicherstellen.

Neben Strukturreformen wird hitzig diskutiert, ob die Schuldenbremse das Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft beschneidet. Sollten wir auch hier mehr Flexibilität wagen?
Die Schuldenbremse ist ein Vertrauensanker, der nicht nur für die deutsche, sondern auch für die europäische Finanzpolitik große Bedeutung hat. Zum einen schützt sie die Geldpolitik vor politischem Druck, Schulden weg zu inflationieren. Zum anderen bewahrt sie die fiskalische Handlungsfähigkeit, weil sie verhindert, dass ein zunehmend größerer Teil des Budgets von Zinszahlungen aufgefressen wird.

Kann man die Schuldenbremse reformieren, ohne sie als Vertrauensanker zu beschädigen?
Bei einer Staatsverschuldung, die unterhalb bestimmter Grenzen liegt, wäre aus meiner Sicht mehr Flexibilität bei der Neuverschuldung möglich. Die Bundesbank hat schon zu meiner Zeit Vorschläge in diese Richtung gemacht. Es geht darum, zu hohe Verschuldung zu verhindern, und nicht darum, die Staatsverschuldung auf null zu senken. Und man sollte die Wachstumseffekte staatlicher Ausgaben auch nicht überschätzen. Wichtig wäre, dass wir keine weiteren Umgehungen wie Sondervermögen schaffen. Zumal der Begriff selbst schon irreführend ist, denn es handelt sich ja um „Sonderschulden”.

Lassen Sie uns noch ein bisschen über Ihr altes Berufsfeld, die Geldpolitik, sprechen. Viele werfen der EZB vor, dass sie die Inflation unterschätzt und zu lange mit Zinserhöhungen gewartet hat. Wartet die Notenbank jetzt angesichts der schwachen Wirtschaftslage in der Eurozone zu lange mit Zinssenkungen?
Ich glaube nicht, dass wir in eine Situation wie vor Corona und dem Ausbruch des Ukrainekriegs mit sehr niedrigen Inflationsraten zurückkehren werden. Der Inflationsdruck wird zumindest mittelfristig höher bleiben. Die Demografie und der Fachkräftemangel führen zu höherem Lohndruck. Der Trend zur Deglobalisierung treibt ebenfalls tendenziell die Teuerung, genauso wie die Dekarbonisierung durch steigende CO2-Preise.

Heißt das, die Leitzinsen werden tendenziell höher bleiben, als es die Märkte derzeit erwarten?
Lassen Sie es mich so sagen: Die Realzinsen, also die Marktzinsen abzüglich der Inflation, werden wohl höher liegen, als wir es aus der Vergangenheit gewohnt waren.

Der geldpolitische Spielraum der EZB, einer kränkelnden Wirtschaft durch Zinssenkungen zu helfen, ist aus Ihrer Sicht also begrenzt.
Die Geldpolitik kann grundsätzlich keine Lösung für unsere Wachstumsprobleme bieten. Das kann nur die Wirtschaftspolitik. Ich finde es gefährlich, dass in der Debatte die Grenzen zwischen Regierungsverantwortung und Verantwortung der Notenbank immer stärker verschwimmen. Insgesamt ist das Umfeld für die Geldpolitik ohnehin deutlich herausfordernder mit mehr Angebotsschocks und sehr viel mehr Unsicherheit.

Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund den Vorschlag von Donald Trump, dass die US-Notenbank Bitcoin in ihre Währungsreserven aufnehmen soll? FDP-Chef Christian Lindner glaubt, dass das auch für den Euroraum sinnvoll sein könnte.
Die Notenbanken sollten weiter auf stabile Währungsreserven setzen und nicht auf reine Spekulationsobjekte wie den Bitcoin.

Herr Weidmann, vielen Dank für das Interview.

Das Interview wurde veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Handelsblatts.